Am 26.06.2015 hatte der Vorstand des Stadtverbandes zu einem Informationsaustausch zum Thema Griechenlandkrise eingeladen. Als Referenten konnten wir Prof. Dr. Dietmar Köster, Abgeordneter im Europäischen Parlament begrüßen. Nach lebhafter Diskussion wurde angeregt, die gewonnenen Erkenntnisse und die sich daraus ergebenden politischen Folgerungen in einem Antrag an den Unterbezirksparteitag wie folgt zusammenzufassen:
Antrag an den SPD-Unterbezirksparteitag
Antragstitel: Solidarität mit dem Griechischen Volk
Antragsteller: Stadtverband Fröndenberg
Der Unterbezirksparteitag möge beschließen:
Der Unterbezirksparteitag fordert den Parteivorstand, die SPD-Mitglieder in der Bundesregierung und die Abgeordneten in Land, Bund und im Europäischen Parlament auf, alles zu unternehmen, um für die Griechische Bevölkerung eine akzeptable Zukunft in der Europäischen Union zu ermöglichen. Dabei ist ein Verbleib in der Eurozone, verbunden mit tragfähigen Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung von Voraussetzungen zur Erhaltung des sozialen Friedens unabdingbar.
Begründung:
Seit Monaten ist das Thema der Griechischen Staatsschulden und der Umgang damit Thema in fast allen Nachrichtensendungen, Polit-Talkshows und in den Schlagzeilen der Print- und Onlinemedien. Dabei wird – leider nicht immer nur aus der konservativen, der neoliberalen oder der nationalistischen Ecke – die Ansicht vertreten, Griechenland habe auf Kosten der Steuerzahler in der Eurozone einen bequemen Weg gewählt, Kredite aus den sogenannten Rettungspaketen leichtsinnig und für nicht nachhaltige Zwecke verbraucht und viel zu wenig gespart.
Im übrigen sei der Beitritt Griechenlands zur Eurozone überhaupt nur durch gefälschte Zahlen zustande gekommen und sollte am Besten – auch im eigenen Interesse Griechenlands – durch den Austritt aus der Eurozone korrigiert werden, da eine weitere Unterstützung den anderen Mitgliedsländern nicht mehr zugemutet werden könne.
Als sogenannte Experten treten in der Öffentlichkeit meist immer wieder dieselben Personen auf, nämlich als prominenter politischer Zeuge der Herr Bosbach, der nicht müde wird, zu erklären, er habe von Anfang an gewusst was geschehen wird, und er sei es dem deutschen Steuerzahler schuldig, dagegen zu stimmen, dass noch mehr deutsches Steuergeld in einem Fass ohne Boden verschwindet. Er lässt sich darin gern von Prof. Sinn bestätigen, dem er dann seinerseits bestätigt, man hätte besser auf die Stimme der Wissenschaft gehört, die durch den Herrn Sinn verkörpert sei.
Auffällig in fast allen Medienbeiträgen der letzten Monate ist, dass eigentlich fast nur noch über Geld gesprochen wird. Sicher ist eine funktionierende Wirtschaft eine wesentliche Voraussetzung für ein funktionierendes Gemeinwesen und eine sozial gerechte Gesellschaft. Zunächst daher einige Anmerkungen zur wirtschaftlichen Situation:
Die mit den sog. Rettungspaketen verbundenen Auflagen der Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB haben keineswegs zu den beabsichtigten Verbesserungen geführt, sondern lediglich zu dramatischem Sozialabbau. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rd. 27 %, bei Jugendlichen sogar über 50%. Ein großer Teil der Bevölkerung ist ohne Krankenversicherung, viele Menschen können Wohnung, Strom Heizung oder Lebensmittel nicht mehr bezahlen, Kindersterblichkeit und Suizidrate sind deutlich gestiegen. Trotzdem sind die Staatsschulden, deren Absenkung durch das verordnete Sparprogramm eigentlich vermindert werden sollte, im Gegenteil von 2010 bis 2014 noch um 60% gestiegen, das Spardiktat hat also nicht nur versagt, sondern den gegenteiligen Effekt gehabt. Im Widerspruch zu dem so oft zitierten Professor Sinn, hat der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz die sog. Rettungsprogramme als völlig falsch angelegt bezeichnet. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte er: „Das sind schlicht Rezessionsprogramme. Egal wie wacker sich die Griechen bemühen, sie haben keinerlei Aussicht, aus der durch diese Programme verursachten Misere herauszukommen.“ Und er empfiehtl der griechischen Bevölkerung, in der Umfrage vom 05.07. mit „Nein“ zu stimmen. Ebenso urteilt der ebenso renommierte Paul Krugman, seines Zeichens ebenfalls Wirtschaftsnobelpreisträger und vergleicht die „selbst ernannten Technokraten Europas“ mit mittelalterlichen Ärzten, die die „darauf bestanden, ihre Patienten zur Ader zu lassen – und wenn diese Behandlung die Patienten noch kränker machte, forderten sie weitere Aderlässe“ Inzwischen hat selbst der IWF eingeräumt, dass die verordneten Sparprogramme den beabsichtigten Erfolg verfehlt haben.
Der Euro war bei seiner Einführung aber keineswegs als rein wirtschaftliches Projekt angelegt. Er sollte zwar einen Beitrag zur Vereinheitlichung eines Europäischen Wirtschaftsraumes leisten, war vor allem aber auch als wesentliches Instrument zur politischen Annäherung, zur Förderung des kulturellen Austausches und zur Sicherung des Friedens im Europäischen Raum angelegt. Hier ist er als ein Schritt in der durch alle deutschen Regierungen der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg verfolgten Politik der Aussöhnung ehemals verfeindeter Völker angelegt und befindet sich damit in der Tradition von Adenauer über Willy Brandt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder. In der Hoffnung, das friedliche Zusammenwachsen in Europa werde über Schwierigkeiten in der unterschiedlichen Stärke der teilnehmenden Volkswirtschaften mit der Zeit hinweghelfen, wurde auch Griechenland in die Eurozone integriert. Die geopolitische Bedeutung als NATO-Partner an einer wichtigen Position hat dabei sicher auch eine Rolle gespielt, niemand kann ernsthaft glauben, dass sich die damaligen Entscheidungsträger blauäugig und naiv über die tatsächliche wirtschaftliche Situation in Griechenland hätten täuschen lassen.
Leider hat sich die Situation in Europa – auch durch deutsches Zutun – anders entwickelt: Zunehmend haben nationale Egoismen das Zusammenwachsen der Europäischen Staaten gebremst. Konkurrierende Steuergesetzgebung bis zum Steuerdumping führten zur Steuerflucht von Unternehmen und Privatpersonen auf Kosten der nationalen Haushalte. Eine gewisse Bankenregulierung kommt nur schleppend in Gang, nachdem durch die Internationale Finanzkrise und die darauf folgende Rettung von systemrelevanten Banken viele Staatshaushalte in die Überschuldung geraten sind.
Die Reaktion in vielen Ländern war eine Sparpolitik, die vielleicht in Deutschland vordergründig erfolgreich war, in weniger exportstarken Ländern aber zu sozial unhaltbaren Folgen geführt hat.
Insgesamt muss man aber feststellen, dass die maßgeblich von deutscher Seite insistierte Austeritätspolitik im Verein mit den neoliberalen Prinzipien des IWF, nämlich Privatisierung, Lohnsenkungen und höheren Mehrwertsteuersätzen, weitgehend gescheitert ist. Und das im übrigen nicht nur in Griechenland, sondern in Europa insgesamt, wie die sich immer weiter öffnende Schere zwischen arm und reich ja auch in Deutschland zeigt.
In Griechenland droht eine Entwicklung, die nach einem erzwungenen Austritt aus dem Euro nicht nur für Griechenland gefährlich wäre:
Was bleibt einer „verlorenen Generation“ von jungen Menschen, die nach einem Staatsbankrott ein Europa erleben, das allem was sie sich von einem Europa als Gemeinschaft gemeinsamer ethischer Werte, als Raum des kulturellen Austausches erträumt haben Hohn spricht, wenn sie feststellen müssen, dass sie ohne Mittel und Perspektiven in einem Land leben sollen, das von den übrigen Europäern als Land von Versagern angesehen wird, die an ihrer Misere selbst schuld sind. Die am besten ausgebildeten und aktivsten werden das Land verlassen, übrig bleiben die Hoffnungslosen. Aus unserer eigenen Geschichte sollten wir gelernt haben, dass Hoffnungslosigkeit der überzeugendste Antrieb in die Radikalisierung ist. Und aus der griechischen Geschichte sollten wir nicht vergessen, dass eine Militärdiktatur auch dort erst einige Jahrzehnte zurück liegt.
Das gilt im übrigen aber auch gleichermaßen, falls zwar der Verbleib Griechenlands im Euroraum beschlossen wird, nicht aber eine nachhaltige Unterstützung des Landes beim Umbau staatlicher Strukturen, verbunden mit Investitionsprogrammen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum damit einhergehen.
Schon im eigenen Interesse, vor allem im Interesse eines funktionierenden Europas sollten wir alles tun, um solchen fatalen Entwicklungen in Griechenland wirksam entgegenzutreten: Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit nicht nur in Griechenland, sondern auch in Portugal, Spanien, aber auch in Frankreich und Italien ansieht, wird man erkennen müssen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Im Interesse der Erhaltung des Friedens in Europa heißt es: Wehret den Anfängen!
für den SPD-Stadtverband Fröndenberg
Martin Streich